Erdbeben

Erdbeben



1


Irgendwann in der Nacht wurde ich aus
dem Schlaf gerissen. Da war irgendetwas
bis dahin Unbekanntes: ein bisher nicht
gehörtes Geräusch, eine Bewegung des
Bettes – ein paar Sekunden nur und doch
genug um aufgeweckt zu werden. Ich lag
einige Zeit wach, stellte fest das es ruhig
blieb und schlief kurz darauf wieder ein.
Am nächsten Morgen hörte ich in den
Nachrichten, dass es sich bei der
nächtlichen Störung um ein Erdbeben
gehandelt hatte. Genauer gesagt um das
Erdbeben von Lüttich/Belgien im Jahr
1983.
Ich wohnte zu diesem Zeitpunkt ein gutes
Jahr im Ruhrgebiet, in der Stadt Essen,
und bis hier her waren eben die Ausläufer
dieses Bebens zu spüren gewesen, das
übrigens eine Stärke von 5,1 auf der
Richterskala hatte.
Schnell hatte ich das Erlebte vergessen.
Ein Erdbeben in Deutschland lag für mich
weiterhin nicht im Bereich des Möglichen.
In den USA, Japan und China und wenn
ganz nah, dann doch noch weit genug
entfernt in Italien oder der Türkei,
sicherlich, dort war alles möglich. Aber
hier in meiner Heimat, wo ich seit meiner
Kindheit außer einem Gewittersturm kaum
etwas bedrohliches erlebt hatte, hier fühlte
ich mich sicher.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine
Ahnung davon, dass unter meinen Füßen
mehrmals im Monat die Erde bebte, ohne
dass es zu spüren war.


2


Dann kam der 13. April 1992.
Ich hatte am Tag zuvor Spätdienst, und am
nächsten Tag frei, blieb also länger wach.
Ich war etwa ein Jahr vorher umgezogen
und hatte meine Wohnung komplett neu
eingerichtet.
Gegen 3.15 Uhr begann ich mich ins Bett
zu begeben und stellte gerade mein leeres
Weinglas in der Küche ab. In diesem
Moment begann wieder die Erde zu beben.
Und dieses Mal war ich wach. Das
Geschirr klirrte im Küchenschrank, das
Haus schien sich zu bewegen. Im Kopf
ordnete ich die Situation sofort ein:
Ein Erdbeben...
Die Sekunden erscheinen plötzlich
unwahrscheinlich lang. Ich hatte nie
gelernt, wie ich mich in so einem Moment
zu verhalten habe. Das Haus verlassen
oder unter einen Tisch kriechen? Bringt
das was im 2. Stock? Nebenan hörte ich
weitere lange Sekunden Bücher und CD`s
aus Regalen fallen.
Dann war plötzlich Stille.
Nach einiger Zeit begab ich mich ins
Wohnzimmer. Dort konnte ich ein von der
Wand gefallenes CD-Regal und ein paar
Bücher die auf dem Boden lagen,
begutachten.
Ich hatte soeben das „Roermond-Beben"
mit einer Stärke von 6,2 auf der
Richterskala erlebt.
Bei diesem Beben entstand ein
Sachschaden von über 150 Millionen DM.
Es war noch in Städten wie München,
Berlin und London zu spüren.
Und noch immer wußte ich nicht, daß
unter meinen Füßen regelmäßig die Erde
in Bewegung war.
Erst als ich im Juli 2001 während eines
Urlaubes in Italien ein ähnlich starkes
Beben mit Toten und Verletzten und
erheblichen Schäden an historischen
Gebäuden, in Südtirol erlebte (damals
befand ich mich mitten im Epi-Zentrum),
begann ich mich für Erdbeben zu
interessieren.
Inzwischen weiß ich, dass die Erdbeben in
der Kölner Bucht dadurch entstehen, dass
die afrikanische Platte gegen die
eurasische Platte drückt, und dieser Druck
sich in der Kölner Bucht durch Erdbeben
entlädt.
Das etwas leichtere Beben am 22. Juli
2002 mit der Stärke von 5,0 auf der
Richterskala habe ich dann fast
verschlafen. Es war zwar auch bis ins
Ruhrgebiet zu spüren, aber in Blick auf die
letzten erlebten Beben, muss ich es wohl
fast schon als normal empfunden haben.
Die Kölner Bucht und die Eifel gehören zu
den durch Erdbeben am meisten
gefährdeten Gebieten in Deutschland.
Beben bis 6,4 (und auch stärker) sind
möglich. Je nach dem, wo das Beben und
in welcher Stärke es stattfindet, sind auch
Großstädte in dieser Region gefährdet.


© Uwe Fengler