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Zwei Koffer im Schnee

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kathuw66's avatar
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© Uwe Fengler

Zwei Koffer im Schnee


Ich sitze vor der offenen Balkontür unserer kleinen 2 ½ Raum Wohnung, die sich in der 2. Etage befindet.  Ich kann nicht genau sagen, wie lange es schon schneit. Sicherlich schon länger als eine Stunde, vielleicht sogar zwei. Die Flocken die herab fallen haben auf den Gehwegen und schließlich auch auf den Straßen eine weiße Schicht gebildet. Kaum noch ein Geräusch dringt von draußen herauf. Als es immer windiger und das Schneetreiben immer dichter wurde, ist selbst das Lachen der spielenden Kinder verstummt. Wie ausgestorben liegt die kalte, weiße Welt vor mir. Lediglich aus der Ferne kann ich ab und zu das Bellen eines Hundes vernehmen.

Deutlich höre ich jedoch die Geräusche aus dem Nebenraum. Schranktüren, die geöffnet und wieder geschlossen werden. Schubladen die aufgezogen werden und schließlich auch deine Schritte – vom Schrank zum Bett, auf dem die geöffneten Koffer liegen, und wieder zurück zum Schrank, um eines neues Kleidungsstück zu entnehmen, dass du sorgfältig in deinen Koffer legst.

Nach einer Zeit der Stille höre ich, wie du den Flur entlang kommst. Im Türrahmen des Wohnzimmers bleibst du stehen. Du stellst die Koffer nicht ab.

Ich gehe jetzt, höre ich deine Stimme.

Ich drehe mich nicht zu dir um. Ich sage kein Wort. Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich weiß nicht wohin du gehst. Ich weiß nur, dass du nicht zurück kommen wirst.

Nie wieder zurück...

Ich höre wie die Tür ins Schloss fällt...
Ich sehe weiter dem winterlichen Treiben draußen zu. Ich bin keinesfalls erstaunt darüber, dass ich an der offenen Balkontür nicht friere. Jetzt beginnt es auch in meinen Gedanken zu schneien.
Ich weiß nicht wie lange du schon fort bist,  Stunden oder nur Minuten,  als ich plötzlich aus meinem Sessel aufspringe und auf den Balkon rase.

Wollte ich dich noch einmal sehen? Oder wollte ich dich vielleicht zurück rufen?

Als ich das Geländer erreiche und herunter sehe, zu der Bushaltestelle, die sich direkt vor unserem Haus befindet, sehe ich die zwei Koffer im Schnee stehen. Von dir ist nichts zu sehen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass heute noch ein Bus fährt. Vielleicht wirst du ja abgeholt. Plötzlich ist mir das jedoch vollkommen egal. Ich gehe zurück in die Wohnung, schließe die Balkontür und gehe ganz langsam durch alle Zimmer. Ein nie da gewesenes Glücksgefühl und ein unbekanntes Gefühl von Freiheit steigen plötzlich in mir hoch. Und trotz der Kälte und Einsamkeit ist mir in diesem Augenblick ganz warm.


© Uwe Fengler
Comments1
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AmmoniteFiction's avatar
Wow, ganz ungewöhnlich und sehr schön :)